„Abfall kann auch Rohstoff sein“

Vor zwanzig Jahren bastelten die Zürcher Brüder Markus und Daniel Freitag ihre erste Messenger Bag aus einer alten Lkw-Plane und gebrauchten Autogurten. Daraus entstand ein Unternehmen, das bis heute fleißig expandiert und sich über die Jahre immer treu geblieben ist. Warum er nicht viel von pfiffigen Marketing-Strategien hält und warum er bis heute keinen Führerschein hat, erzählt uns Markus Freitag im Interview.

Fair Fashion: Seit 1993 gibt es die berühmten Freitag-Taschen, die aus alten Lkw-Planen genäht werden. Damit seid Ihr Upcycling-Pioniere der ersten Stunde. Habt Ihr von Anfang an mit diesem dauerhaften Erfolg gerechnet?

Markus Freitag: Darüber haben wir gar nicht nachgedacht. Das Kreislaufdenken hatte es uns schon immer angetan. Mein erstes Schlüsselerlebnis war wohl der Komposthaufen unseres Vaters. Wir Kinder mussten immer brav die alten Küchenabfälle dort hinbringen und irgendwann haben wir staunend festgestellt, dass am Ende der beste Humus für unser Obst und Gemüse dabei herauskam.
Mein Bruder Daniel und ich waren auch schon immer große Bastler. Wir sind immer mit dem Rad durch die Nachbarschaft gefahren und haben besonderen Sperrmüll oder Altmetall gesammelt. Das haben wir dann wieder verwertet und großartige Dinge daraus gebaut. Da hat durchaus der Spaßfaktor eine große Rolle gespielt aber auch der Gedanke, aus Wegwerfartikeln wieder etwas Neues zu schaffen.

Die Messenger Bag „Dexter”- ein echter Klassiker aus dem Hause Freitag

Also hat bei Eurer Firmengründung die berühmte kindliche Prägung eine Rolle gespielt, eine Sensibilisierung durch das Elternhaus?

Das kann man so sagen. Ich erinnere mich noch gut an unseren letzten großen gemeinsamen Familienurlaub, der nach Indien ging. Wenn man da so als Schweizer Junge in Kalkutta aus der Bahn steigt, erlebt man schon einen kleinen Kulturschock. Aber was uns ehrlich fasziniert hat, waren die vielen Handwerker an jeder Ecke, die aus einfachsten Materialien und mit Hilfe simpler Instrumente nützliche Gebrauchsgegenstände produzieren konnten. Spätestens jetzt war uns klar: Abfälle können auch Rohstoffe sein!

Und daraus folgte die Idee, selber ein Unternehmen zu gründen?

Ach was! Wir sind im Grunde weder typische Unternehmer noch findige Zahlenmenschen. Damit haben wir es nicht so.
Die Idee entstand, als ich meine erste eigene Studentenbude bezog, die besonders preisgünstig war, weil sie direkt an einem Zubringer zum Gotthard-Tunnel lag. Ab fünf Uhr morgens bis spät in die Nacht hinein konnte ich da eine Riesenmenge an Lkw vorbeidonnern hören und sehen.
Außerdem hatte ich mich als passionierter Radfahrer immer über die wenig praktischen Taschen, die zudem nicht wasserdicht waren, geärgert. Fahrradkuriere wie in den USA gab es Anfang der 90er Jahre in der Schweiz ja noch gar nicht.
Der ewige Anblick der vielen Lkw mit ihren farbigen Planen brachte uns dann auf die Idee, dass man daraus doch etwas machen könnte. Was passierte zum Beispiel, wenn mal eine Plane kaputtging oder die betreffende Firma schlichtweg die Farbe wechseln wollte?
Mein Bruder und ich gingen also zum nächstbesten Spediteur und fragten einfach nach ausrangierten Planen. Tatsächlich trägt ein durchschnittlicher Lkw in seinem „Leben“ zwei bis drei unterschiedliche Planen. Material war also von Anfang an vorhanden.

„Delgado“ heißt der schlichte aber elegante Freitag-Shopper.

Der Erfolg stellte sich erstaunlich schnell ein. Seit 1996 werden Freitag-Taschen auch in den USA verkauft und sogar im New Yorker MoMA befindet sich in der Designsammlung eins Eurer ersten Modelle als Ausstellungsstück.

Ja, darauf sind wir tatsächlich ein wenig stolz. Zumal man als Gestalter gar keinen Einfluss darauf hat, ob das eigene Produkt in diese Auswahl kommt. Irgendein uns unbekannter „Donator“ hat dem MoMA wohl unsere Tasche geschenkt und ein Gremium hat am Ende entschieden, dass sie es wert ist, in diese großartige Designsammlung mit aufgenommen zu werden.

Mit dem Erfolg kam auch die Expansion Eures Unternehmens. Wie kommt es, dass Ihr nach wie vor in der Schweiz produziert, das nicht gerade als Billiglohnland gilt?

Wir haben von Anfang an auf gesunden Menschenverstand und unser Bauchgefühl gesetzt. Da liegt wohl der Schlüssel und das lässt sich natürlich immer schwer erklären. Die Idee, möglichst schnell und möglichst viel Geld zu verdienen, interessiert uns einfach nicht.
Mein Bruder Daniel ist gelernter Graphikdesinger und ich bin ausgebildeter Ausstellungsgestalter mit einem abgebrochenen Studium an der Kunstgewerbeschule. Es ist fast ein Glück, dass wir das komplexe Rechnen nie richtig gelernt haben, denn sonst hätten wir manche Entscheidung womöglich anders getroffen. Im Nachhinein war alles immer genau richtig so.
Unsere erste große Investition war eine Industrienähmaschine für rund 2.000 Schweizer Franken. Auf der haben wir die ersten tausend Taschen genäht, die wir natürlich viel zu billig verkauft haben. Wir mussten also die Produktion optimieren und mühsam einen akzeptablen Preis errechnen, den wir pro Tasche verlangen konnten. Aber auf Billiglohnländer auszuweichen kam für uns nie in Frage.

Auch wenn Ihr dabei weniger Gewinn macht?

Ja, aber wir sind tatsächlich recht genügsam. Die Miete für die Studentenbude musste natürlich gezahlt werden – aber einen Führerschein habe ich bis heute nicht.
Worauf wir Wert legen, sind gute Mitarbeiter, die ihr Handwerk verstehen und denen wir selbstverständlich ein Gehalt zahlen, von dem sie in der Schweiz auch leben können. Ganz am Anfang vor zwanzig Jahren sind wir zum Amt für Asylbewerder marschiert und haben dort nach Schneidern und Zuschneidern gefragt. Die haben dann monatlich ihren festgelegten Lohn von 3.500 Schweizer Franken bekommen – das ist in der Schweiz ganz genau geregelt. Wir selber haben uns nur 1.000 Schweizer Franken ausgezahlt; mehr brauchten wir ja zum Leben nicht. Alles andere wollten wir lieber in die Firma investieren. Diese Haltung hat sich bis heute nicht geändert.
Wir sind ziemlich auf dem Boden geblieben, obwohl wir auch dieses Jahr wieder ein zweistelliges Wachstum verzeichnen können und mittlerweile rund 150 Mitarbeiter haben. Aber wir sind definitiv keine Spekulanten und kommen gar nicht auf die Idee, eigene Ansprüche geltend zu machen.

Für Ladies mit Geschmack und Stil – „Noyer“ trotzt auch jedem Regenguss.

Also bleibt alles in der Firma?

Definitiv! Einen Lamborghini, Porsche oder Ferrari braucht keiner von uns. Wir wollen einfach weiterhin unsere Produkte entwickeln und nicht Ferienhäuser oder so etwas kaufen.
Wichtig ist, dass wir Leute mit Knowhow in der Firma haben, die uns unterstützen und die wir bezahlen können. Denn natürlich können wir nicht alles allein machen. Ein Großteil unserer Mitarbeiter ist daher seit den Anfängen mit dabei. Ansonsten kommen wir privat über die Runden; das genügt uns völlig.

Nicht der klitezkleinste Luxus, den Du Dir ab und zu gönnst?

Oh doch! Ich empfinde es durchaus als Luxus, dass ich zum Beispiel meine Lebensmittel im Bioladen einkaufen kann. Und einen Führerschein brauche ich schon deswegen nicht, weil ich im Zug viel besser entspannen und in Ruhe lesen kann. Wenn ich unbedingt mal fliegen muss, dann reicht mir Economy.
Genuss ist nun mal relativ. Und ich könnte definitiv nichts genießen, das auf Kosten der Natur geht.
Ich denke, wenn man das Richtige konsumiert, kann man auch verschwenderisch sein. Da lebe ich ganz im Sinne des Cradle-to-cradle-Gedankens von Michael Braungart, der dieses Konzept zusammen mit William McDonough entwickelt hat. Verschwenderisch ist schließlich auch die Natur, aber sie regeneriert sich selber. Dieses Prinzip finde ich sehr einleuchtend und versuche es auch im täglichen Leben umzusetzen.

Nicht nur für Superhelden – „Hutchins“ heißt die praktische Laptop Bag.

Das klingt nach einer sehr schlauen Marketing-Strategie. Wer berät Euch da?

Ach was! Niemand natürlich, auch wenn sich natürlich aktuell sehr viele Unternehmen ein grünes Schild umhängen, weil’s gerade trendy ist, sich Nachhaltigkeit und Öko-Ideen auf’s Firmenschild zu pappen. Wir sind zum Glück authentisch und müssen uns keine Gedanken darüber machen, ob wir glaubwürdig rüberkommen. Der ökologisch sinnvolle Recycling-Aspekt war von Anfang an die Basis unserer Arbeit und auch die Tatsache, dass der Kunde am Ende nur für die Herstellung des Produktes bezahlt, nicht aber für Marketing- und Werbezwecke. Daher verzichten wir auch komplett auf Werbung. Denn um das zu bezahlen, müssten wir die Preise für unsere Taschen erhöhen. Das wollen wir nicht und es war auch nie nötig.
Auch die Schwarzweiß-Gestaltung unseres Logos ist auf diese Weise entstanden. Alles andere wäre erheblich teurer geworden; da haben wir uns ganz intuitiv für die dezentere Variante entschieden und uns nichts aufschwatzen lassen. Und seien wir mal ehrlich: Unsere Produkte sind doch schon farbig genug.

Noch ein Tipp für junge Firmengründer?

Sich treu zu bleiben, das heisst auf dem Boden bleiben und sich verändernde Zusammenhänge und Umstände immer wieder neu zu begreifen, das “Grosse-Ganze” nicht aus den Augen zu verlieren und viel zu delegieren.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

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