Boss wird bissig

Unbezahlte Überstunden, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und Einschüchterungsversuche. Dies und anderes berichteten Näher aus Osteuropa und der Türkei, die für eine Studie der Clean Clothes Campaign interviewt wurden. Insgesamt führte man in 39 Betrieben 316 intensive Gespräche, die Ergebnisse wurden unter dem Namen „Stitched Up – Im Stich gelassen“ veröffentlicht.
Demnach decken die Nominallöhne, also das ausgezahlte Geld ohne Rücksicht auf In- oder Deflation, in Bulgarien oder Mazedonien gerade mal 14% eines existenzsichernden Einkommens. Selbst in Kroatien, in dem die Arbeiter angeblich die höchsten Löhne erhalten, werden nur 36% des geschätzten Existenzminimums gezahlt. Dass die Zahlung eines Existenzlohnes überhaupt zur allgemeinen Unternehmensverantwortung zählt, bestreiten offenbar einige Textilfirmen, darunter Vans, Wrangler, Lee und Eastpack, die allesamt zur US-amerikanischen Bekleidungsfirma VF Corporation gehören.

Als prominentes Fallbeispiel im negativen Sinne wird in der deutschen Presse insbesondere Hugo Boss angeprangert, denn der Metzinger Konzern zahlt laut Clean Clothes Campaign-Studie den Arbeitern seiner Zuliefererbetriebe Löhne, die weit unterhalb des jeweils herrschenden Existenzminimums liegen. Immerhin: Die Mitarbeiter der Clean Clothes Campaign haben lediglich die direkten Zulieferer genauer unter die Lupe genommen, sonst wären die Ergebnisse womöglich noch prekärer ausgefallen, wie Wissenschaftler vermuten.
Tatsächlich wurden alle Textilunternehmen vorab über die Absicht der Studie informiert und erhielten die Gelegenheit, eigene Angaben zu machen. Der Metzinger Luxuskonzern hatte dazu aber keine Lust und die Clean Clothes Campaign-Mitarbeiter recherchierten auf eigene Faust. Die anschließenden, wenig erfreulichen Ergebnisse wurden der Hugo Boss AG eine Woche vor Veröffentlichung zugesandt, mit der Bitte um Stellungnahme. Aber erst nachdem einige neugierige Presseanfragen eintrudelten, sollen die Metzinger reagiert haben und dies, laut Deutscher Welle auf recht unangenehme Art und Weise. Eine bekannte Anwaltskanzlei wurde engagiert und drohte dem Nachrichtenportal, das die Clean Clothes Campaign-Studie zuerst veröffentlicht hatte, mit Unterlassungserklärungen, Abmahnungen etc., wenn der Name ‘Hugo Boss’ nicht umgehend aus den Veröffentlichungen gelöscht würde. Bettina Musiolek von der Clean Clothes Campaign findet für diese Aktion, die ganz nebenbei einen Angriff auf die deutsche Pressefreiheit darstellt, passenden Worte: „Kein anderes Unternehmen hat versucht, die kritische Berichterstattung zu unterbinden. Dieses Verhalten ist untragbar.

Doch womöglich aus Sorge vor drohendem Imageverlust äußerte sich nun doch eine namenlose Sprecherin der Hugo Boss AG: „Es ist nicht nachvollziehbar, dass nur Hugo Boss herausgegriffen wurde, denn die Fabriken produzieren auch für andere Marken.“ Außerdem wisse man gar nicht genau, um welche Quellen es sich handele und könne daher auch nicht handeln. Zudem würden die gesetzlichen Mindestlöhne sehr wohl gezahlt, aber eben nicht direkt an die Arbeiter sondern an die Zulieferer, heißt es in der TextilWirtschaft.
Ist das alles? Eine hilflose Ausrede nach dem Motto ‘die anderen haben aber auch‘? Dass ein traditionsreiches deutsches Textilunternehmen, das allein im Jahr 2013 einen Umsatz von 2,43 Milliarden Euro gemacht hat, sich so wenig transparent zeigt und sämtliche Eigenverantwortung von sich weist, ist im Grunde unglaublich. Zudem macht man sich in Metzingen wohl nicht klar, dass es hier nicht allein die Namensnennung in einer Studie geht, sondern vor allem um die mangelnde Kooperation insgesamt bis hin zur offenen Drohung.

Tatsächlich geht es neben Hugo Boss auch Adidas, Puma, Tom Tailor, Mango, Versace, Prada, Esprit, Gerry Weber oder Max Mara an den Kragen; da macht die Studie der Clean Clothes Campaign gar keinen Unterschied. Offizielle Statistiken, die besagen, dass in den untersuchten Ländern rund zwei Millionen Textil-Arbeiterinnen registriert sind und eine weitere unregistrierte Million ohne jegliche soziale Absicherung für unsere Kleiderschränke näht, wurde in der betreffenden Studie genauso bedacht wie die eigenen Recherchen und Gespräche. Ohnehin ist es kein Geheimnis, dass die Textilbranche insgesamt und der Trend zu supergünstiger Ware seit geraumer Zeit in der öffentlichen Kritik stehen. „Stitched Up – Im Stich gelassen“ war also mehr als überfällig – faule Ausreden wirken da nur um so peinlicher. Genauso wie Geschäftsmodelle, die nur funktionieren, wenn irgendwo jemand Schwächeres am Ende für unseren Luxus draufzahlen muss.

Bild: Sarah Matler