Sojamilch, Tofuschnitzel, Mandelmus – über die Verfechter gänzlich tierfreier Produkte wundert sich inzwischen niemand mehr, besonders wenn es um das Thema Ernährung geht. Doch mittlerweile geht der Trend weit über den Tellerrand hinaus. Wer jetzt „en vogue“ sein möchte, ernährt sich nicht nur vegan, sondern kleidet sich auch so.
Mit langer, ungepflegte Mähne und verwaschener Schlabberhosen, so stellte man sich vor einigen Jahren noch vegan lebende Menschen vor. Verkrampfte Öko-Freaks auf zwei Beinen eben, mit einem heimischen Kleinviehzoo von mindestens vier Hunden, acht Katzen und sechs Meerschweinchen. Spaßfreie Gesellen, die aus übertriebener Tierliebe ihren kompletten Ernährungsplan ausschließlich auf Bio-Grünfutter umstellten. As time goes by – aus der einst belächelten Lebensweise ist inzwischen ein stark boomender Trend geworden. Längst haben sich Couscous und Co. in unseren Küchen breit gemacht und den Schnitzeln dieser Welt den Kampf angesagt. Überraschend? Wohl kaum, denn Gammelfleisch-Skandal, Etiketten-Schwindel bei Bio-Eiern oder die berühmte Pferdefleisch-Lasagne vermiesten uns den Küchengenuss in jüngster Zeit immer häufiger und erleichterten uns den Sprung in die Grünabteilung. Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit gelten als moderne Zeitgeist-Vokabeln und da wird auch das ganze Drumherum zunehmend wichtiger.
Sojaseide ist die neue Sojamilch
Modisch gesehen bedeutet dies, dass grüne Fashion Labels so erfolgreich und angesehen sind, wie noch nie. Das Berliner Unternehmen Umasan hat sich von Anfang an auf diese besondere Nische fokussiert und stellt ausschließlich tierfreie Produkte her. Anstelle von klassischer Seide, die von der Seidenraupe gewonnen wird, verwenden die beiden Umasan-Gründerinen Anja und Sandra Umann beispielsweise Sojaseide. Auch nachwachsende Materialien wie Meeresalgen, Buchen- oder Eukalyptusholzfasern werden bevorzugt für die Kleider, Hosen und Tops verwendet. Die beiden Schwestern lieben und leben ihre Produkte und stehen zu hundert Prozent hinter diesem Lifestyle. Ein nicht ganz unwichtiger Faktor, wenn man langen Atem haben muss, bis sich der Erfolg endlich einstellt, und man von seiner Geschäftsidee auch leben kann.
Auch Stella McCartney wurde zu Beginn ihrer Karriere durchaus belächelt für ihre veganen Ideen, wie sie sich in diversen Interviews gern erinnert. Von ihren prominenten Eltern wurde sie ganz basic auf einer Bio-Farm in England großgezogen; vegetarische Küche war selbstverständlich. Dieses Lebens-Prinzip führte sie im Job dann fort und setzte, wie auch Umasan, von Anfang an auf nicht-tierische Materialien für ihre Kollektion. „Die Menschen denken, ausschließlich Leder und Pelz stünden für Luxus“, beklagt sich Stella McCartney. „Jährlich sterben 50 Millionen Tiere im Auftrag der Mode. Das ist nicht Luxus, das ist Masse!“ McCartney verwendet lieber biologisch abbaubares künstliches Wildleder für ihre Schuhe. Oder Segeltuch, das mit einem Pflanzenöl imprägniert wurde.
Veganer Lifestyle verspricht ein gutes Gewissen
Die Nachfrage nach tierfreien Materialien ist mittlerweile so groß, dass sich dies sogar im spezialisierten Einzelhandel rumgesprochen hat. In Münchens Glockenbachviertel hat sich zum Beispiel „Veganista“ angesiedelt. In dem kleinen Ladenlokal in der Barer Straße spiegelt sich der perfekte vegane Lifestyle wider. Neben 31 verschiedenen Modelabels kann man im kleinen integrierten Laden-Café außerdem selbstgebackene Cookies genießen – vegan versteht sich. Ins textile Sortiment werden nur Marken aufgenommen, die auch dem Veganista-Team selbst am Herzen liegen, wie beispielsweise das Label Bleed, das mit seinen Streetwear-Produkten Wert auf Umweltschutz und faire Produktion legt. Der Name „Bleed“ steht dabei bildhaft für die „blutende“ Natur, die seit Jahrzehnten von den Menschen ausgebeutet wird.
Auch hinter „Jonny’s Vegan“ steckt eine kleine Geschichte, die erzählt, dass sich eine junge Generation aufmacht, es besser machen zu wollen. Sohn Alfredo Goyeneche überzeugte seinen Vater, den Gründer des Schuhlabels John W. Shoes, irgendwann, ein Tochter-Label aufzubauen, das keine tierischen Materialien vorsieht. Die Produkte von Jonny’s Vegan werden von veganen Freunden aus Spanien hergestellt und jedem Paar Schuhe liegt ein Infoblatt bei, das über Veganismus aufklärt und darüber, was er in Bezug auf Tiere, Gesundheit und Ökologie bedeutet. Bevorzugte Materialien? Recycelte PET-Flaschen, Hanf oder Bio-Baumwolle.
Wer sich für vegane Mode entscheidet, kann sich meist sicher sein, dass die Produkte mit Herzblut und viel Überlegung entstanden sind. Der Profit steht tatsächlich oft erst an zweiter, wenn nicht an dritter Stelle.
Dennoch, oder vielleicht gerade deshalb, hat der vegane Lifestyle seinen Preis. Wer gern als Schnäppchenjäger unterwegs ist, sollte umdenken. Ein stylisches Dandy Jackett der Marke Umasan aus 100 Prozent Bio-Baumwolle kostet mindestens 350 Euro, bei einer Synthetik-Handtasche von Stella McCartney sollte man schon mit mindestens der doppelten Summe rechnen. Dafür gibt’s das gute Gewisssen aber auch gratis mit dazu.
Haben meine Echt-Lederschuhe jetzt ausgedient?
Durchaus verständliche Bedenken äußert so mancher beim Thema Schuhe, denn nicht jeder hat gern Synthetik-Treter am Fuß. Ein Verfechter des guten, rahmengenähten Lederschuhs ist zum Beispiel Buchautor Bernhard Roetzel. Der Stilexperte erzählte jüngst in der Süddeutschen Zeitung, dass er ausschließlich Echt-Lederschuhe trage und Modelle aus Kunststoff oder Kunstleder kein Thema für ihn seien. „Setzten sie sich mal auf einen Kunstledersessel, nach einer Stunde haben sie einen nassen Hintern!“, frotzelte Roetzel. „Das Gleiche passiert mit Kunstlederschuhen!“ Als nachhaltig denkender Konsument empfindet sich der Liebhaber des gediegenen, britischen „Way of Life“ dennoch. Seine maßgefertigten Schuhe trägt er, bis es wirklich nicht mehr geht. Billige Spontankäufe oder Wegwerfmentalität sind auch Bernhard Roetzel ein Greuel.
Egal, ob man sich nun komplett in tierfreien Materialien kleidet oder nicht. Wichtig ist am Ende das generelle Umweltbewusstsein – auch in Sachen Mode. Wenn man hochwertig produzierte Echt-Lederschuhe über Jahre hinweg trägt, ist das in der Tat schonender für unsere Umwelt als jedes Jahr ein neues durchgelatschtes Paar Plastikturnschuhe zu entsorgen. Beim Kauf reicht meist schon ein kurzer Blick auf das Etikett und die kleine Frage an sich selbst: Wird dieses Produkt seinem Preis und seiner Umwelt gerecht – und finde ich dieses Teil zwar gerade witzig, mag es aber in drei Monaten womöglich nicht mehr?
Am Ende ist es langfristig wohl die schlauere Entscheidung, zur Abwechslung mal in einen hochpreisigeren Pulli zu investieren, der den Qualitätsansprüchen genügt, auf fairem Weg hergestellt wurde – und der mehr als eine Saison im Kleiderschrank überlebt. Das wäre schon mal ein guter Anfang.
Illustration: Yvette Yang www.fashion-font.com