„Das Accessoire der Saison ist es, etwas zu sagen zu haben“ war neulich in der TIMES zu lesen. Das dachten sich auch zwei junge deutsche Künstler und ließen sich modisch vom Leid in Bangladesh inspirieren. Darf man das?
Wir haben sie noch alle im Kopf, die Bilder des eingestürzten Rana Plaza in Bangladesh vom 24. April 2013. 1.129 Menschen verloren ihr Leben, weil Sicherheit leider weniger zählte als die Herstellung möglichst billiger Klamotten. Nun haben sich zwei Künstler zusammengetan und sich genau dieses Thema als künstlerische Inspirationsquelle ausgesucht. Der Modedesigner Bobby Kolade und der bildende Künstler Manu Washaus haben sich die „besten“ Katastrophen-Fotos rausgepickt, die eine – zugegeben – makabre Ästhetik versprühen, und sie auf Pullover printen lassen. Fünf, auf den ersten Blick recht attraktive, Modelle sind dabei entstanden, die zu allem Überfluss auch noch in einem preisgünstigen Sweatshop der chinesischen Massenproduktions-Metropole Shenzhen bedruckt wurden. Provokant oder geschmacklos?
Schicke Shirts mit Fotoprints sind gerade schwer angesagt: Ob edle Seidentops von Carven mit romantischer Bergkulisse, leichte Sommerkleidchen von Véronique Branquinho mit Sonnenuntergangs-Szenario oder flotte Seidenblusen von Zara, in denen man als wandelnde Sommerwiese durch die Welt wandeln darf. Wie kleine Kunstwerke sehen die Styles aus, deren Dessins dank modernster Printverfahren fast aussehen wie die Originalkulissen.
Fotoprints sind „in” – hier ein Seidentop mit Alpenpanorama von Carven.
So gesehen liegen Manu Washaus und Bobby Kolade genau richtig mit ihren fünf Katastrophen-Pullis. Und außerdem: Wer guckt da schon genau hin, wenn so ein knallig buntes Shirt in Bewegung ist? Washaus und Kolade hoffen zumindest darauf und auch, dass dem Betrachter ein kleines Licht aufgeht. Tatsächlich stellt ihre Idee keine plumpe Provokation dar, bei der es, wie man glauben könnte, um pure Eigen-PR geht, sondern will mehr. Der gebürtige Kasseler Manuel Washaus studiert seit 2009 „Mass media research und Kunst im medialen Raum“ an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. In seiner aktuellen Studie „Study of the Possible” lässt er alltägliche Gegenstände mit politischer und gesellschaftlicher Aufladung herstellen. Bobby Kolade, der als Kind deutsch-nigerianischer Eltern im Sudan geboren wurde, hat an der Kunsthochschule Weißensee Modedesign studiert und bereits erste Berufserfahrungen bei Maison Martin Margiela und Balenciaga gesammelt. Erst im April diesen Jahres hat er den begehrten „Start your Fashion Business Preis“ der Stadt Berlin gewonnen. Gleich zwei begabte Newcomer also, die Kunst mit Köpfchen produzieren, wie sich aktuell zeigt. Die neuen Pulli-Kreationen werden ergo nicht in irgendeinem coolen Concept Store feilgeboten, sondern sind reine Kunstwerke – und in diesem Fall definitiv nicht käuflich.
Sowohl Washaus als auch Kolade empfinden sich zwar als Ästheten – der eine in der Kunst der andere in der Mode – aber eben nicht um jeden Preis. Dass es da noch etwas jenseits der Welt des schönen Scheins gibt, ist beiden bewusst. Frei nach Tom Ford, der vor einigen Jahren den weisen Satz formulierte: „Mode kann Dein Leben bereichern. Schöne Dinge können Dein Leben erreichen. Doch glaube bloß nicht, dass sie wirklich der Schlüssel zum Glück sind“, wollen Kolade und Washaus ein Statement setzen, aufrütteln, nachdenklich machen und vielleicht sogar zum Handeln auffordern.
„Mode ist unzerstörbar” – nannte Cecil Beaton seine Fotostrecke für die VOGUE im Jahr 1941.
Tatsächlich sind sie da nicht die Ersten, die Dramen, Unglücke und Katastrophen in Kontext bringen mit etwas vermeintlich Oberflächlichem: Der Mode! Als Pionier positionierte sich unter anderem der Modeillustrator und -fotograf Cecil Beaton, der im Kriegsjahr 1941 für die britische VOGUE eine Modestrecke mit dem Titel „Mode ist unzerstörbar“ inszenierte. Zu sehen waren Fotomodelle in schicken Kostümchen, die in den Trümmern des frisch bombardierten London posierten. Kritik hagelte es daraufhin zuhauf. Es hieß, die Modebibel VOGUE sei verpflichtet, die schönen Dinge des Lebens in den Vordergrund zu rücken und nicht das abzubilden, was man ohnehin tagtäglich auf den eigenen Straßen zu sehen bekäme. Die verantwortliche Chefredakteurin Edna Woolman Chase konterte hingegen: „Moden würden keine Moden sein, wenn sie sich nicht dem Geist, den Bedürfnissen und den Einschränkungen der jeweiligen Zeit anpassten.“ Das gleiche gilt für die Inszenierung von Mode; auch sie sollte den Zeitgeist widerspiegeln.
Nicht unähnlich dachte auch Oliviero Toscani als er in den 80er Jahren den Auftrag der Familie Benetton erhielt, das etwas angestaubte Image des gleichnamigen Bekleidungsunternehmens aufzupeppen. Toscani tat sein Bestes und lichtete zum Tode verurteilte US-Gefangene ab, die blutverschmierte Uniform eines gefallenen Soldaten aus dem Kosovo und eine trauernde Familie am Sterbebett des HIV-positiven Sohnes. Was das alles mit den fröhlich-bunten Pullis der norditalienischen Modekette zu tun hatte, überließ er freilich der Interpretation des Betrachters. Immerhin: Die Provokation war perfekt und für Publicity war gesorgt. Bis ihm Benneton nach 18 Jahren kündigte, weil die Kundschaft irgendwann die Nase voll hatte und wegblieb. Oliviero Toscani war’s egal. In einem Interview mit der Zeitung DIE WELT rechtfertigte er sich im Jahr 2009 mit dem Satz: „Ich nutze den Kanal der Werbung, um auf die Probleme der Welt aufmerksam zu machen.“
Pure Provokation: Oliviero Toscanis Kampagne für Benetton.
Da ist er sich mit seinem Modefotografie-Kollegen Steven Meisel zumindest in der Sache einig. Weniger allerdings in der Art der Inszenierung, die bei dem US-Amerikaner Meisel um einiges subtiler um nicht zu sagen attraktiver ist. Die zum Teil verstörende Ästhetik in seinen Fotografien – Steven Meisel darf seit 1988 exklusiv die Titel der italienischen VOGUE shooten – beeindruckt regelmäßig und wird geliebt wie gehasst. Ob er Kristen McMenamy als ölverschmiertes Strandgut drapiert und dabei an die Ölkatastrophe von Deepwater Horizon aus dem Jahr 2010 erinnert oder unter dem Titel „Make love not war“ den Irak-Krieg mit knackigen US-Soldaten samt edel gewandeten Gespielinnen persifliert – sowohl Bildausschnitt als auch Farbenspiel sind stets perfekt komponiert. Kunstvoll, sehr ästhetisch und durchaus hübsch anzusehen – wenn doch bloß nicht immer so ein leicht übler Beigeschmack mitspielen würde. Was wiederum volle Absicht ist! Sogar an eine künstlerische Aufarbeitung des 11. Septembers 2001 hat sich Steven Meisel gewagt, wenn auch nur auf den zweiten Blick. Unter dem Titel „State of Emergency” stellte er mit attraktiven Models, die sich ihrer Kleider entledigen mussten, den aus dem Niedergang der Twin Towers resultierenden Sicherheitswahn an US-Flughäfen nach.
„Make love not war” war Steven Meisels Aufforderung im Jahr 2007
Makaber? Geschmacklos? Künstlerische Freiheit? Und das im Sinne der Mode? Gern wird das Thema Fashion mit plumpem Kommerz gleichgesetzt und die Stylisten müssen sich regelmäßig in der Presse rechtfertigen, warum sie uns entweder mit unrealistischen Schönheitsidealen quälen oder Kollektionen präsentieren, die nicht auf den ersten Blick unsere Auffassung von „schick” darstellen.
Erst jüngst im September 2013 echauffierte sich SPIEGEL Online-Autorin Silke Burmester über Kinderklamotten im Military-Style, während in Syrien zeitgleich Kinder sterben müssten. In Gedanken sieht Burmester eine handvoll crazy kreativer Modeschöpfer durch Aleppo tänzeln und auf die bahnbrechende Idee kommen: „Geil, wir machen was für die Kinder mit Krieg”. Wenn’s denn mal so einfach wäre! Der Artikel von Silke Burmester beginnt übrigens mit dem knackigen Satz: „Modemacher sind Seismographen. Sie erspüren, was kommt.” Der Vergleich ist nicht schlecht! Dabei unterliegt die Autorin allerdings dem Trugschluss, Seismographen würden Dinge anzeigen, die noch nicht sind, sondern erst werden. Tatsächlich registrieren, erkennen und lokalisieren Seismographen etwas, das bereits vorhanden ist. In unserem Fall zwar nicht Bodenerschütterungen, aber dafür Kriege, Umweltkatastrophen, Rassimus etc. Die Mode spiegelt all’ dies lediglich wider und muss das auch dürfen. Auf diese Weise bahnte sich der Trenchcoat seinen Weg in unsere Kleiderschränke, wurde während des Zweiten Weltkriegs der Overall für Damen modern und in den 70ern der Bundeswehr-Parka. Die Liste ließe sich unendlich weiterführen.
„Mode, Fotografie, Kunst sind nicht verantwortlich für eine gesellschaftliche Entwicklung, sie illustrieren sie nur”, schrieb Wolfgang Joop bereits 1997 im SPIEGEL, als der berühmt-berüchtigte Heroin Chic sein Unwesen trieb. Verantwortlich seien Politik und System, so Joop, Ursache und Symptom sollten bei der ganzen Diskussion nicht verwechselt werden. So gesehen liegen Bobby Kolade und Manu Washaus mit ihren Bangladesh-Pullis absolut richtig.
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Sweater – Study of the possible | Manu Washaus for Bobby Kolade.