Meins ist deins – warum wir mehr haben, wenn wir teilen

Da ist zunächst mal die Sache mit der Bohrmaschine. Sie gehört eigentlich in jeden gut sortierten Haushalt, denn egal ob Regal, Spiegel oder das neue Ölgemälde – ab und zu muss eben ein Dübel in die Wand. Nach ein paar Minuten Radau darf das teure Eletrogerät wieder in sein Köfferchen und für die nächsten Jahre in der hintersten Kellerecke verschwinden.
Tatsächlich wird die Bohrmaschine, gemessen an ihrer Lebensdauer, nur ganze 13 Minuten wirklich benutzt, wie findige Statistiker ausgerechnet haben.
Tja, Männerkram! Leider sieht’s mit unserem Hochzeitskleid oder der schicken Abendgarderobe nicht viel besser aus. Für teuer Geld eingekauft, fristen die edlen Fummel ihr finsteres Dasein zwischen Kleidersäcken und Mottenkugeln. Wenn man nach zehn Jahren dann tatsächlich mal wieder Opernkarten in der Tasche hat, sieht die ehemals exklusive Robe plötzlich gar nicht mehr ‘up to date’ aus – mit den Rüschenärmeln und dem Schlitz bis zum Beinansatz. Also schnell was Neues kaufen?

„Buy less, borrow more“

Die Zeiten, in denen wir guten Gewissens unendlich viele Klamotten gehortet haben, bis der Schrank aus allen Nähten platzte, sind definitiv vorbei – um nicht zu sagen mega-out. Wie schön, dass es da einen neuen Konsumtrend gibt, der uns die Entscheidung erleichtert – und uns am Ende nicht nur ein gutes Gewissen beschert sondern auch gut aussehen lässt.
Shared Economy oder auch „Collaborative Consumption“ wird das neue Wirtschaftswunder genannt, das sich gerade anschickt, eine kleine Revolution zu entfachen. Bereits ein Viertel aller Deutschen teilt sich angeblich schon Autos, Elektrogeräte oder eben Klamotten.
Der Hamburger Philipp Gloeckler hat erst im August 2012 seine Plattform „Why own it“ ins Netz gestellt. Wenige Monate später hatte er schon über 10.000 User. Unter dem Motto „buy less, borrow more“ kann man hier vom edlen Häkelpulli über die E-Gitarre bis hin zur obligatorischen Bohrmaschine so ziemlich alles ausleihen. Gleich auf der Startseite erklärt die Persiflage auf einen bekannten Werbespot, warum „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“ im Grunde ziemlich lächerlich ist, wenn man sich ebenso gut alles ausleihen kann.
Welche Zielgruppe sich bei „Why own it“ gern einloggt? Vom jungen Studenten bis zur rüstigen Rentnerin ist alles vertreten. Und tatsächlich ist die Idee, Geld zu sparen, nicht die wichtigste Motivation, bei der Tauschplattform mitzumachen.

Weniger Umweltbelastung

Der Müncherin Günes Seyfarth zum Beispiel geht es darum, die Umwelt nicht mit noch mehr Neuware zu belasten. Seit einem Dreivierteljahr betreut sie mit ihrem „Mamikreisel“ rund 65.000 Mütter; damit wäre die Zielgruppe klar umrissen. Die studierte BWLerin, Marketing-Expertin und zweifache Mutter hatte schlicht keine Lust mehr, sich auf Flohmärkten stundenlang die Beine in den Bauch zu stehen, um am Ende für ein paar Cent die süßen Kinderkleidchen zu verticken. „Wir möchten das Tauschen wieder mehr in die Köpfe bekommen“, betont Seyfarth.
Die Wiege für den Säugling braucht man meist nur wenige Monate, aus den niedlichen Babyklamotten ist der Nachwuchs oft schon nach drei Wochen rausgewachsen – auch Bobbycar, Barbie & Co sind nicht ewig der Renner im Kinderzimmer. Also wird der Kram, der viel zu schade zum Wegschmeißen ist, auf „Mamikreisel“ angeboten und kann entweder getauscht, verkauft oder verschenkt werden. Ganz unkompliziert.

Das Wiki-Prinzip

„Dass Menschen Dinge tauschen und teilen, ist so alt, wie der Mensch selbst”, weiß Dr. Harald Heinrichs, Professor für Nachhaltigkeit und Politik an der Leuphania Universität Lüneburg.
Immer mehr Konsumenten sind es einfach leid, jede Menge Gegenstände daheim zu horten, die man höchstens dreimal im Leben wirklich braucht. Ob das nun an der gestiegenen Mobilität oder dem sogenannten Wiki-Prinzip liegt, wer weiß.
Klar ist, dass der Trend, auf digitalem Wege Informationen auszutauschen, seinen Weg in die analoge Welt zurückgefunden hat. Secondhand-Läden und Tauschbörsen hat es zwar schon früher gegeben, aber dank Internet kann man sich inzwischen effektiver und schneller organisieren.
Alles andere wirkt seltsam unmodern. Ja, sogar die Funktion des Autos als wichtiges Statussymbol habe ausgedient, findet Philipp Gloeckler von „Why own it“. Das ist zwar in Blankenese, Grünwald und Meerbusch noch nicht ganz angekommen – in überfüllten Großstädten wie Berlin, Köln oder München aber hat man immer weniger Lust auf teure Versicherungen und Benzinkosten, wenn man morgens und abends sowieso nur im Stau steckt.
Nachhaltiger ist da „Carpooling.com“, das vor zwölf Jahren von drei Studenten unter dem Namen „Mitfahrgelegenheit.de“ gegründet wurde oder „Greenwheels.com“, das auch unter dem Namen Stattauto bekannt ist. Der eigene Pkw wird eben überflüssig, wenn man sich problemlos ein passendes Vehikel für die Geschäftsreise, den Wochenendtrip auf’s Land oder gleich den Urlaub aussuchen kann.
Und dort verzichten wiederum immer mehr Menschen auf den Fünf-Sterne-Luxus langweiliger Hotelketten zugunsten individueller und kostengünstigerer Übernachtungsmöglichkeiten. Über „Couchsurfing.org“ kann man gratis bei Fremden schlafen oder umgekehrt jemanden bei sich übernachten lassen. Über zehn Millionen Übernachtungen verbuchte bis jetzt die kostenpflichtige Version von „Airbnb.com“, das Privat-Unterkünfte in über 34.000 Städten und 192 Ländern im Angebot hat.

Eine Idee verändert die Welt

Die britische Autorin und Unternehmensberaterin Rachel Botsman propagiert seit ein paar Jahren die These vom Teilen und Tauschen statt Anhäufen und Besitzen. Mit ihrem Buch „What’s mine is yours“  hat sie es nicht nur auf internationale Bestseller-Listen sondern auch auf die Liste des Time Magazine mit den „10 Ideen, die die Welt verändern werden“ geschafft. Angesichts schwindender Ressourcen fordert sie den Wandel von der Ich- zur Wir-Gesellschaft. In ihrem Vortrag, den sie im Mai 2010 während einer TED-Konferenz in den USA gehalten hat, spricht sie vom kollaborativen Konsum als einer mächtigen kulturellen und ökonomischen Kraft, die das Zeug dazu hat, unseren gesamten „Way of life“ zu verändern.
Rachel Botsman hat damit einen echten Nerv getroffen. Passend zum Thema fand Anfang Mai 2013 in Paris die Community der „Collaborative Economy“ in Paris zusammen, um bei „Ouishare“ über weitere Pläne zu diskutieren. Am 13. Mai 2013 ging’s in Berlin mit einem großen Think Tank der Experten unter dem Titel „Sharing Economy“ gleich weiter.

Vom Fashion Victim zum Konsumpragmatiker

Die Zielgruppe der Collaborative oder Shared Economy ist übrigens breit gefächert, wie Professor Heinrichs in einer Studie festgestellt hat. Neben den „Konsumpragmatikern“, die einfach nur schlauer wirtschaften wollen, sind vor allem die gebildeten Großstädter zwischen 14 und 39 Jahren ideologische Überzeugungstäter – darunter ein großer Prozentsatz an Frauen.
Unter denen wiederum gibt es jede Menge Fashion Victims, die zu ihren It Bags ein oft innigeres Verhältnis pflegen als zu ihrem Lebensabschnittsgefährten. Auch sie denken inzwischen um.
Als Alternative zu „Klamottentausch.net“, wo man Kleidertausch-Partys in seiner Region ausfindig machen kann, gibt es auch „Prêt-à-Louer“. Hier kann man sich luxuriöse Kleider, Taschen, ja sogar Lingerie für den passenden Anlass ausleihen. Co-Founderin Margarita Kozakiewicz erinnert sich an viele Gespräche mit ihren Freundinnen, in denen sich immer wieder das gleiche Grundproblem herauskristallisierte: „Der Kleiderschrank ist voll und wenn ein wichtiges Event ansteht, hat man doch nichts anzuziehen.“ Mal so eben 2.000 Euro für ein neues Outfit auf den Tisch blättern können die wenigsten. Viele wollen das auch gar nicht.
In der US-Plattform „Rent the Runway“ fand Kozakiewicz ein interessantes Konzept, das allerdings noch in europäischen Stil übersetzt und deutlich umformatiert werden musste. Mit Marken wie Costume National, Moschino oder Wunderkind kann man bei „Prêt-à-Louer“ inzwischen durchaus ein interessantes Portfolio anbieten. Auch Extravagantes ist dabei, das nicht den Dünkel des Luxuslabels nötig hat, sondern dank seines außergewöhnlichen Konzeptes überzeugt: Die beiden Designerinnen Eugenie Schmidt und Mariko Takahashi des Berliner Labels Schmidttakahashi zerlegen gebrauchte Kleidung in ihre Einzelteile und setzen sie zu kunstvollen Unikaten neu zusammen. Sämtliche Kleider und Accessoires sind mit einer ID-Nummer und einem QR-Code versehen, mit deren Hilfe man die jeweiligen Produkte zurückverfolgen kann. Transparenz, Nachhaltigkeit und natürlich „Shared Economy“ auf allerhöchstem Niveau. Besser geht’s nicht!

 

Text: Gerlind Hector