Scheintot oder Chance? – Résumé zur Fashion Week Berlin

Greenfashionroom, Ehtical Fashion Show und Selvedge Run kann man zur gelungenen Expansion gratulieren. Verzweifelte Einzelhändler fanden hier Inspiration und Innovation. Wenn nun noch Mut und Zukunftsvisionen dazukommen, stimmt die Mélange.

Premium, Panorama, Seek … in Berlin traf sich passend zur Fashion Week das Modevolk – natürlich weniger crazy und spektakulär gewandet, als sich das der Laie vorstellt; wir sind schließlich nicht in London, New York oder Paris. Manch blutjunger Fashion Blogger, der extra aus Bayern, NRW oder Mecklenburg-Vorpommern angereist war, zeigte sich bitter enttäuscht ob fehlender Verrückt- und Ausgelassenheit. Glamour-Faktor? Das war mal! Denn Krise gibt es nicht nur in Sachen Politik und Umwelt, auch die Geschäfte laufen schon lange nicht mehr wirklich gut im Modebusiness.

Beinah verzweifelt irrte ergo der ein oder andere ambitionierter Einzelhändler quer durch Berlin – die großzügige Verteilung der diversen Orderplattformen ist wirklich eine Qual – und war auf der Suche nach der ganz großen Lösung: Wie soll ich mich positionieren und was um Gottes Willen wollen meine Kunden wohl in der nächsten Saison kaufen? Gerade die kleinen Inhaber-geführten Geschäfte müssen sich permanent hinterfragen und neu erfinden. Deutschlands Fußgängerzonen, die sich fast alle in Filialistenhand befinden, bieten deutlich sichtbar ein trauriges Bild.

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Anita Tillmann, attraktive und nicht minder geschäftstüchtige Chefin der Premium-Gruppe, weiß das natürlich alles und setzte mit der extra initiierten Fashion-Tech-Konferenz auf Visionen und Inspirationen jenseits von plattem Kommerz. Im KühlhausBerlin am Gleisdreieck trafen Retailer, Designer, Start-up- und Marketingstrategen aufeinander, um neueste Entwicklungen aus Mode- und Technologiebranche zu präsentieren und auszudiskutieren. Wearables, die höchste Funktion und Ästhetik miteinander verbinden, standen im Fokus und es ist zu hoffen, dass auch die Vertreter von Green & Sustainable Fashion am ein oder anderen Workshop oder Talk teilgenommen haben.

Denn die Zukunft, so ist zu hoffen, liegt schließlich in ihrer Hand. Wer braucht schon all die vielen neuen Hosen, Jacken, Shirts und Blusen? Natürlich niemand, denn unsere Kleiderschränke platzen bereits jetzt dank der vielen Fehl-, Doppel- und überflüssigen Vorratskäufe aus allen Nähten. Die Aussteller im Greenshowroom, der Ethical Fashion Show und auch in den Hallen der sympathischen Selvedge Run machen im Grunde alles richtig. Nachhaltigkeit, faire Herstellungsmethoden im Einklang mit Mensch und Natur sind die Schlüsselthemen der Branche. Aber eben mit einer kräftigen Prise Fashion Future – die Welt dreht sich weiter und es dürstet den modebegeisterten Menschen stets nach Spannung und Selbstoptimierung.

”Neben dem Business haben wir eine echte Vision von Authentizität und Produkten mit Charakter”, betonte zum Beispiel Shane Brandenburg, Mitbegründer der Selvedge Run, die den markigen Untertitel “Tradeshow for Quality Menswear and Crafted Goods” trägt. Hier in Berlins Kulturbrauerei an der Schönhauser Allee fanden sich nicht nur jede Menge Labels mit Händchen für robustes Traditionshandwerk, wie Andersen-Andersen, Blaumann oder Schuh-Bertl München, sondern auch charmante Senkrechtstarter wie Kiat Yen, der mit seinem Accessoires & neuerdings auch Fashionlabel Indigo People sowohl hier als auch auf der Seek vertreten war – und sich aktuell schon wieder auf der Copenhagen Fashion Week tummelt.

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Etwas verhaltener ging’s im ehemaligen Postbahnhof und dem benachbarten Energieforum zu, wo Nachhaltigkeit, Ökologie und Fairness die tragenden Säulen von Greenshowroom und Ethical Fashion Show bedeuten. Das Schwerpunktthema “Active Slow” des zu Recht expandierten grünen Messeduos war weise gewählt, auch wenn man sich ein noch schärferes Kuratieren der Aussteller gewünscht hätte. Dass High Fashion und gutes Gewissen durchaus eine perfekte Kombination sind, haben Brands wie Lanius Köln, das in Kooperation mit Strumpfhersteller Kunert für beeindruckende klare Looks sorgte, längst verstanden. Auch Studio Elsien Gringhuis, Inti Ferreira und viele mehr machten Spaß. Nicht zuletzt Johanna Riplinger, die mit einer großen Portion edler Feminität punktete, und demonstrierte, dass Form, Farbe und Fairness Zukunft haben.

Weniger peinliche Eitelkeit, mehr Authentizität – weniger Selfie-Egozentrik und dafür mehr Individualität. Der Weg, auf dem sich Greenshowroom, Ethical Fashion Show und Selvedge Run befinden, ist der Richtige – keine Frage. Nun heißt es: Nicht Abdriften vom hehren Ziel des guten Gewissens beim Fashion Shopping und dabei nicht die Zukunft aus den Augen verlieren. Ein Mix aus modischem Zeitgeist, Fashion Tech und permanenter Fairness in der gesamten Herstellungskette wäre perfekt!

Fotos: Fashion Tech, Greenfashionroom, Selvedge Run, Indigo People

Text: Gerlind Hector